16.5.05

Die Wolken kommen… (Eugen Roth)

Die Wolken kommen
so leise geschwommen
im Frühlingsfeuchten
mit stillem Leuchten
hoch über die Stadt.

Durch Lächeln und Lieder
weinen hernieder
verschollene Tage
mit trauriger Frage,
für die mein Herz
keine Antwort mehr hat.

11.5.05

Über mir ... (Doris Reimer)

Über mir: ein alter Ast
Rinde blätternd
moosig grün
eine Katze
breit und lauernd
blaues Himmelslaken
mit dem Muster
aus den pelzig hellen Blättern
an den jungen Zweigen
wo die beiden Meisen
vorher turtelnd
ungestört von gelben Augen
trau ich meinen
mit dem Blick nach oben
in die unsichtbare Ferne
weit erscheint es
dann das Leben
leicht und schaukelnd
wieder Mai

via Charming quark

8.5.05

Alle Mütter... (Mascha Kaléko)

Alle Mütter waren einmal klein.
Kinder können das oft gar nicht fassen.
Wenn die Kinderschuhe nicht mehr passen,
Fällt es ihnen wohl zuweilen ein.
Große Kinder suchen fremde Gassen,
Mütter bleiben später oft allein.
Alle Kinder werden einmal groß.
Mütter können das oft nicht begreifen.
Kleines Mädchen mit den bunten Schleifen,
Spieltest gestern noch auf ihrem Schoß;
Kleiner Sohn, mußt du die Welt durchstreifen?
Mütter haben oft das gleiche Los.
Alle Stuben werden einmal leer.
Kahl der Tisch, verwaist und stumm der Garten.
Diele knarrt. Und Mütter schweigen, warten...
Manchmal kommt ein Brief von weitem her.
Stern verlischt. Und all die wohlverwahrten
Tränen tropfen ungeweint ins Meer –

4.5.05

Zum Einschlafen zu sagen (Rainer Maria Rilke)

Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.

Gute Nacht und bis Montag (siehe
Rosinen im Kopf )

Mai (Goethe, Johann Wolfgang von, 1749-1832)

Leichte Silberwolken schweben
Durch die erst erwärmten Lüfte,
Mild, von Schimmer sanft umgeben,
Blickt die Sonne durch die Düfte.
Leise wallt und drängt die Welle
Sich am reichen Ufer hin,
Und wie reingewaschen helle,
Schwankend hin und her und hin,
Spiegelt sich das junge Grün.

Still ist Luft und Lüftchen stille;
Was bewegt mir das Gezweige?
Schwüle Liebe dieser Fülle,
Von den Bäumen durchs Gesträuche.
Nun der Blick auf einmal helle,
Sieh! der Bübchen Flatterschar,
Das bewegt und regt so schnelle,
Wie der Morgen sie gebar,
Flügelhaft sich Paar und Paar.

Fangen an, das Dach zu flechten-
Wer bedürfte dieser Hütte?-
Und wie Zimmrer, die gerechten,
Bank und Tischchen in der Mitte!

Und so bin ich noch verwundert,
Sonne sinkt, ich fühl es kaum;
Und nun führen aber hundert
Mir das Liebchen in den Raum,
Tag und Abend, welch ein Traum!

3.5.05

April (Christine Busta, *1915)

Tage wie Vögel und locker wie junges Haar.
Auf den Stufen hüpft Regen und malt seine flüchtigen Zeichen.
Er spielt mit der Sonne. Bald wird er dein Fenster erreichen
Und steigt dir ins Zimmer, das lange voll Schatten war.


(der April ist zwar schon vorbei, aber dies fand ich so wunderschön...)

Die Wolken (Stephan Zweig)

Vom Glanz des Mittags golden angeglüht
Lieg ich im Gras. Ich bin so wohlig müd.

Ein Schweigen flimmert. Warmen Atems ruht
Das Leben aus. Nur hoch in blauer Flut

Gehn Wolken hin … Ich seh die linden leisen
Gestalten leichtbeschwingt wie Träume reisen.

Gehnt Wolken hin, das einzig noch Bewegte
Der schwülen Welt, die sich zum Schlafen legte.

So weiß sind sie, so lächelnd aller Schwere,
Daß ich zutiefst so leises Glück begehre.

Du erste, träumerisch und mädchenzart,
Dir geb ich meine Sehnsucht auf die Fahrt,

Und dir, du zweite mit den hellen
Schnellen Armen dich stoßend durch die blauen Wellen,

Nimm die Erinnerung! Die kettet an
Die Welt mein Herz. Du weißer wilder Schwan

Wir rasch ihr geht! Mit lauen Händen streicht
Der Wind euch weiter. Und mein Herz wird leicht.

Was sehte ich? Ich seh die Wolken wehn,
Ihr Lächeln friedsam auf mich niedersehn.

Nichts will ich mehr… Der letzte Wunsch entglitt…
Nichts hält mich mehr… Ich reise träumend mit.
(eins meiner absoluten Lieblingsgedichte)

1.5.05

Du hast mich wie eine Laute gemacht (Rainer Maria Rilke)

Du hast mich wie eine Laute gemacht:
so sei wie eine Hand.
Du hast den Abgrund meiner Nacht
mit Saiten überspannt,
auf denen andre Hände leicht
der Schwindel überfiel;
so blieb es immer unerreicht,
von vielen Sternen überfunkelt,-
das andre Ufer,welches dunkelt
jenseits von meinem Saitenspiel.

Ich möchte Leuchtturm sein (Wolfgang Borchert)

Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind,
für Dorsch und Stint,
für jedes Boot -
und bin doch selbst
ein Schiff in Not.

gefunden bei azzurro

Ich wünsche Dir (Heinrich Kleist)

Ich wünsche Dir soviel Freuden,
als Schlüsselblumen in dem großen Garten blühen.
Bist du damit zufrieden?
Und auch einen schönen Maitag,
um sie zu pflücken.

Der Mai (Friedrich von Logau, 1604-1655)

Dieser Monat ist ein Kuß, 
den der Himmel gibt der Erde,
Daß sie jetzund seine Braut, 
künftig eine Mutter werde.